Die Vor- und Nachteile des Nest-Models bei Trennung und Scheidung
Das Nest-Model als beste Form der Umgangsregelung während und nach Trennung und Scheidung? Das ist meiner Erfahrung nach eine schöne und wohlmeinende Illusion, die sich in der Realtität meist nicht so spiegelt.
Das sogenannte Nest-Model wird immer häufiger bei Trennung und Scheidung als vorteilhafteste Lösung vor allem für die betroffenen Kinder ins Feld gebracht. Will man sich als “guter und fürsorglicher” und vor allem nicht “egoistischer” Elternteil verstehen, dann sollten die Bedürfnisse und das vermeintliche Wohl der Kinder im Vordergrund stehen, als betroffener Elternteil sollte man sich “zurück nehmen”, den “angerichteten Schaden” so gering wie möglich halten. Aus diesem Grund höre ich immer häufiger, dass die Empfehlung, man solle zum Wohle der Kinder das Nest-Model während und nach der Trennung leben, ausgesprochen wird.
Der Umgang mit BEIDEN Elternteilen ist für die gesunde Entwicklung wesentlich. s.h. auch Hetherington & Kelly, 2003; Amato & Sobolewski, 2001
Was konkret ist ein Nest-Model?
Unter dem Nest-Model versteht man ein Arrangement, in dem das geteilte Sorgerecht so ausgeführt wird, dass die Kinder in der ehemaligen gemeinsamen ehelichen Wohnung weiterhin quasi unverändert ihren Wohnsitz haben, während die Eltern abwechselnd in der Wohnung mit den Kindern wohnen und den Umgang mit den Kindern gestalten. Der nicht betreuende Elternteil lebt in der Zwischenzeit in einer anderen Wohnung.
Oft wird das Nest-Model als vorübergehende Lösung direkt nach der Trennung so gestalten, um Kinder sanfter an die neue Realität der getrennten Eltern heran zu führen, oder aber wenn die Eltern sich noch nicht endgültig zur Trennung und Scheidung entschieden haben.
Das Nest-Model hat in Deutschland keine Auswirkung auf die zu leistenden Unterhaltszahlungen, wie es das Wechselmodel hätte. (Im Fall des Wechselmodels fallen Unterhaltszahlungen nach einer festgelegten Zeit weg, da beide Eltern sowohl natural- als auch barunterhaltspflichtig sind). Nur im Fall des Wechselmodels gepaart mit dem Nest- Model ergeben sich geänderte Unterhaltsansprüche.
Vorteile des Nest-Models
• mehr Stabilität für Kinder und Jugendliche
• die Routine der Kinder kann mehr oder weniger beibehalten werden, es gibt beispielsweise keine neuen Schulwege etc.
• die Eltern können sich erst mit den Fragen der Scheidung auseinander setzen, bevor sie einen neuen Wohnraum suchen müssen
• Eltern, die sich noch nicht sicher sind, ob sie wirklich eine Trennung und Scheidung wünschen, haben so eine Möglichkeit, ohne sich räumlich ohne allzu große Konsequenzen “auf Probe” zu trennen
Nachteile des Nest-Models
• vielen Eltern fällt es schwer in der gemeinsamen Wohnung regelmäßig mit dem anderen Elternteil indirekt konfrontiert zu werden und so keine konsequente Trennung leben zu können
• im Gegensatz zu dem oft beschriebenen angeblichen Vorteil, dass das Nest-Model kosten reduzieren würde, da nicht zwei Wohnungen inklusive Kinderzimmer, Anziehsachen, Spielzeug etc. ausgestattet werden müssten, ist das Nest-Model in der Regel teurer, da anstelle von zwei sogar drei voll ausgestattete Wohnungen zur Verfügung stehen müssen
• das Nest-Model erschwert es den Ehepartnern neue Beziehungen einzugehen
• das Nest-Model erweist sich oft für mindestens einen der Ehepartner als schmerzhafter, da man konstant mit dem anderen Partner konfrontiert wird, ohne einen konkreten Abschluss finden zu können
Was notwendig ist, damit das Nest-Model funktionieren kann
• für das Nest-Model bedarf es eines hohen Grades an Vertrauen und Offenheit sowie der Fähigkeit beider Eltern, Konflikte lösungsorientiert, wertschätzend und neugierig anzusprechen und zu bewältigen
• beide Eltern müssen in der Lage sein, die Privatsphäre des anderen Elternteils zu wahren und sich an Absprachen zu halten
• feste Regeln, Absprachen und Termine sind ein Muss, damit das Vertrauen bestehen bleiben kann
• den Kindern sollte klar und unmissverständlich kommuniziert werden, dass die Umgangsregelung nicht bedeutet, dass die Eltern wieder ein Paar werden – Hoffnungen und Träume in diese Richtung zu fördern, wenn keiner oder nur einer der Partner daran festhält kann zu emotionaler Verwirrung und Depression bei Kindern führen
• das Nest-Model sollte im besten Fall von einer Paarberatung oder Mediation begleitet werden, um aufkommende Konflikte und Probleme möglichst schnell und schonend beizulegen
Fazit
Meine Erfahrungen mit dem Nest-Model haben gezeigt, dass es nur dann wirklich funktioniert, wenn beide Elternteile emotional bereits völlig mit der Partnerschaft abgeschlossen und die Trennung nur noch quasi eine Formalität dargestellte. Dies ist in der Regel nicht der Fall. Die Gefahr, der konstanten emotionalen Verletzung und der Eskalation beider Partner und damit auch der betroffenen Kinder ist meiner Erfahrung nach durch das Nest-Model höher als bei anderen Umgangs-Regelungen und die damit einhergehende Belastung der Kinder gerade dadurch eher höher denn geringer.Schreib mir doch in die Kommentare, was deine größte Herausforderung mit deinem Teenager oder Kind war oder ist.
Schreib mir doch in die Kommentare, was deine größte Herausforderung mit deinem Teenager oder Kind war oder ist.
Carolyn Steen – Psychologische Lebensberatung, Coaching, Krisenintervention, Trennungs- und Scheidungsberatung – Im Mittelpunkt des Lebens