Sinnvoll? Das Wechselmodel als neuer Regelfall in der Rechtsprechung
Ich gebe zu: als ich mich vor über einem Jahrzehnt von meinem Ex-Mann getrennt habe, hätte ich mir das Wechselmodel nicht im Traum vorstellen können. Meine Töchter waren damals noch extrem klein. Meine jüngste Tochter war gerade 2,5 Jahre alt und meine älteste war gerade 6 Jahre alt geworden
Wir hatten ein sehr tradiertes Rollenbild gelebt. Ich verstand mich in den USA als Ex-PatEhefrau und -Mutter und in Deutschland war ich gefühlt von einer Schwangerschaft in die nächste gewechselt, während mein Ehemann seiner Karriere nachgegangen ist und dabei nach bestem Können versucht hat, ein “guter Vater und Ehemann” zu sein. Unsere Ehe ist leider an uns beiden und unserem Unvermögen und vermutlich auch an tradierten Rollenbildern gescheitert. Wäre das zu verhindern gewesen?
„Dem, der uns Gutes tut, sind wir nie so dankbar wie dem, der uns Böses tun könnte, es aber unterlässt.“
– Marie von EbnerEschenbach
Inzwischen bin ich der Überzeugung, dass es notwendig ist, ein völlig neues Verständnis unserer Rollenbilder zu ermöglichen. Auch wenn ich mich heute rückblickend dafür schäme gestehe ich, dass ich damals immer noch unterbewusst der Ansicht war, dass Mütter per se die “besseren” Elternteile seien. Und das, obwohl ich mir sehr bewusst war, wie sehr mein Ex-Mann und meine Töchter sich liebten und wie fantastisch er mit ihnen war. Mein tief verwurzelter Glaubenssatz hat vermutlich ungefähr so geklungen: “Kinder gehören zu ihren Müttern”. Es hat einen sehr guten Freund von mir gebraucht, der mit seiner Ex-Frau das Wechselmodel gelebt hat, um mir eine neue Perspektive zu eröffnen. Heute bin ich der Überzeugung, dass es sowohl für Frauen, als auch für Männer wesentlich und wichtig ist, dass das Wechselmodel als Regelfall in der Deutschen Rechtsprechung Einzug hält
Warum? Durch die 2010 in Kraft getretenen Änderungen in der Auslegung der deutschen Scheidungs- Rechtsprechung wurde leider der Eltern-Kind-Entfremdung und auch dem Streit zwischen getrennten Ehepaaren der Weg bereitet. In kritischen Situationen bedienen sich in der Regel Männer immer noch des Machtmittels Finanzen, um Druck und Kontrolle über eine gefühlt unkontrollierbare Situation und ihre Ex-Frau ausüben zu können. Die meisten Frauen wissen zwar, dass sie sich finanziell seit 2010 im Falle einer Scheidung selber versorgen müssen, allerdings schafft es das Gros der Mütter nicht, sich von der tradierten Erwartung an eine Mutterrolle soweit zu entfernen, dass sie wirklich ihre berufliche Karriere quasi direkt im Anschluss an die Geburt des Kindes wieder in den Vordergrund stellen, selbst wenn der Vater die Lücke nicht auffüllen kann oder möchte. So wird es Männern erleichtert, den finanziellen Druck gegenüber ihrer Ex-Frau auszuüben. Frauen hingegen suchen leider immer noch in den allermeisten Fällen Kontrolle über das Druckmittel Elternschaft auszuüben. Sie berufen sich oft darauf, der “bessere” Elternteil zu sein, sich mehr für die Kinder zeitlich und emotional eingesetzt zu haben und eher in der Lage zu sein, die Bedürfnisse des Kindes erfühlen sowie erfüllen zu können.
Sie argumentieren damit, das “Kindeswohl” um einiges besser – auch gegen den Vater – vertreten zu können. Sowohl beim Vater, als auch bei der Mutter ist meiner Erfahrung nach der Wunsch vorhanden, dem Kind nicht zu schaden, beide lieben ihre Kinder aufrichtig und wollen nur das Beste. Leider erkennen meist beide nicht, dass die in ihnen aktivierte Trennungswunde Auslöser ihres Erlebens und ihres Verhaltens ist, sondern auch sie versuchen vermeindlich objektive Erklärungskonzepte als Ursache des eigenen dadurch gerechtfertigten Verhaltens heran zu ziehen. Wäre nun beiden von Anfang an bekannt, dass sie im Falle des Scheiterns ihrer Ehe zu je 50% nicht nur finanziell, sondern auch “zeitlich” für die gemeinsamen Kinder verantwortlich sein würden, hätten beide ein Interesse am “Hoheitsgebiet” des anderen Elternteils. Tatsächlich bin ich der Überzeugung, dass diese Anpassung im Familienrecht eine gravierende Auswirkung auf die Wirtschaft hätte. Derzeit werden immer noch Männer besser bezahlt, lieber eingestellt und eher befördert, da die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau als Mutter ausfallen wird höher und wahrscheinlicher ist, als ein Mann. Wären aber per se sowohl Männer, als auch Frauen beim Scheitern einer Ehe wirtschaftlich und zeitlich zu gleichen Anteilen für die gemeinsamen Kinder verantwortlich, gäbe es keinen Grund mehr, warum Unternehmen sich für einen Mann im Gegensatz zu einer Frau nur auf Grund ihres Geschlechtes entscheiden sollten, sondern Qualifikation, Charakter und Erfahrung würden das Rennen bestimmen. Selbstverständlich sollte allerdings bei einer Änderung bedacht werden, dass Mütter, die in der tradierten Rolle gelebt haben, bei einer radikalen und sofortigen Umstellung vermutlich als Hartz IV Empfängerinnen enden würden. Es müssten daher auch finanzielle und sozialpolitisch tragfähige Konzepte erarbeitet werden, um diese Mütter aufzufangen. Heute – rückblickend – wünschte ich damals erkannt zu haben, dass ich ein Rollenbild und -Verhalten gelebt habe, dass eher aus der Generation meiner Großeltern zu stammen scheint.
Carolyn Steen – Psychologische Lebensberatung, Coaching, Krisenintervention, Trennungs- und Scheidungsberatung – Im Mittelpunkt des Lebens